Beethoven bei Mozart

Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven lebten 21 Jahre lang gleichzeitig, vom Dezember 1770, als Beethoven geboren wurde, bis zum Dezember 1791, als Mozart knapp 36-jährig starb. Von diesen gut zwei Jahrzehnten hielten sich beide zusammen nur etwa sechs Wochen am selben Ort auf, nämlich in Wien. Dorthin reiste der 16-jährige Beethoven zur Jahreswende 1786/87 von seiner Heimatstadt Bonn aus. Als er Mitte Januar in Wien eintraf, weilte Mozart gerade in Prag, von wo der wegen seines "Figaro" überschwänglich Gefeierte in der ersten Februarhälfte zurückkehrte [1]. Beethoven reiste in der zweiten Märzhälfte wieder ab. Es ist ungewiss, ob sie sich in Wien begegnet sind. Vielleicht nur so beiläufig wie in der von Margret Steenfatt vorgestellten Szene:

[Er] war vor dem Carmesinischen Haus in der Domgasse Nr. 5 angelangt. Hier sollte Wolfgang Amadeus Mozart mit seiner Frau Constanze wohnen. / Wenn Ludwig wollte, konnte er mit einem Empfehlungsschreiben hineingelangen und Mozart die Grüße des Kurfürsten Max Franz überbringen. / Ludwigs reiche Gönner in Bonn, die ihm die Reise bezahlten, erwarteten von ihm, dass er den "König im Reiche der Tonkunst" besuchte oder andere Berühmtheiten wie Christoph Willibald Ritter von Gluck oder Joseph Haydn. / Pah! dachte Ludwig, bin ich vielleicht ein Hofnarr? / | Er wollte eben umkehren, da kam eine Karosse vor das Haus gefahren. Der Kutscher zügelte die Pferde, stoppte, sprang vom Bock und riss die Wagentür auf. / Ein zierlicher Kavalier mit hübsch frisierten Locken, der seine Zöpfchen mit einer Samtschleife gebunden trug, reichte seiner Dame die Hand. / Wie schön sie war! Sie lachte fröhlich, raffte mit der Linken den weiten Rock aus weißem Atlas, setzte ein zierliches Füßchen in Knopfstiefeln auf das Trittbrett und stieg aus. / Mit einem flüchtigen Blick streifte sie den jungen Mann in Reisekleidern, der nur wenige Meter entfernt an einem Mauervorsprung lehnte. / So also lebt man berühmt in Wien, dachte Ludwig. In einem Herrschaftshaus in Wohlstand mit einer Frau wie eine Prinzessin. / Ludwig aber ging seiner Wege [...] [2]

Der junge Mann aus Bonn, er war dort Hoforganist, hatte also ein Empfehlungsschreiben für den berühmten Sohn der Stadt Salzburg auf die Wienreise mitbekommen. Beide 'Wiener Klassiker' sind keine gebürtigen Wiener gewesen. Sie waren indessen von Kindheit an Untertanen desselben Kaisers aus dem Hause Habsburg, der in Wien residierte: Josephs des Zweiten. Einige Autoren, darunter Fritz Zobeley [3], zogen in Betracht, dass Beethoven am Ostersonntag 1787 den Sohn und Thronfolger Maria Theresias im Rahmen einer Festoper zu Gesicht bekam. Ein wenig anders gefasst hat diese Möglichkeit Veronika Baum, die den jungen Ankömmling vergebens an Mozarts Haustür klopfen und ihm eine Karte des verehrten Meisters aushändigen lässt – folgenden Inhalts:

Werter Herr Beethoven! Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich Ihnen weiland noch keinen ordentlichen Empfang bereitet habe. Schon am morgigen Tage wird sich Ihro Schicksal wenden. Ihre Kaiserliche Majestät Joseph II. bittet Ihro selbst und meine Wenigkeit nach Tisch zu einer Audienz in privatissimo. Lassen Sie uns also bei Hofe einen kleinen Wettstreit am Klavichord austragen. Adieu! Ihr ergebener Wolfgang Amadeus Mozart [4]

Ostern 1787 fiel übrigens auf den 8. April. Zwei bis drei Wochen zuvor hatte Beethoven bereits die Rückreise aus Wien angetreten. Die Vermutung eines Treffens beim Kaiser geht zudem lediglich auf den sehr unzuverlässigen Chronisten Anton Schindler [5] zurück.

Immer wieder heißt es in Beethoven-Biographien und -Chroniken, eine Wiener Begegnung mit Mozart sei zwar nicht dokumentiert, doch wahrscheinlich. Zwischen Mitte Januar und Ende März könnten eine oder mehrere Unterrichtsstunden bei den Mozarts in der Domgasse 5 stattgefunden und der Ältere gegenüber anderen Besuchern den vielzitierten Spruch getan haben: "Auf den gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen." Womit der 16-Jährige sein Idol derart beeindruckt haben könnte, ist eine Frage an Kenner von beider Tonkunst geworden. Und so hat sich eine Anekdote ergeben, die von Ulrich Rühle wie folgt auskomponiert worden ist:

"Komm setz dich her, junger Mann, und zeig uns, was du gelernt hast." Der junge Mann nahm am Klavier Platz. "Na, was spielst? Aber wenn ich bitten darf, nix von mir", lachte Mozart. / Die Herren hatten sich in ihren Sesseln zurückgelehnt und lauschten dem Klavierspiel des jungen Pianisten. Zuerst spielte er eine Fuge aus dem 'Wohltemperierten Klavier' von Johann Sebastian Bach. Er war so aufgeregt, dass er glaubte, noch nie so schlecht gespielt zu haben. / "Na Bub, recht nett hast gespielt, nach einem Stück kann man noch nichts rechts sagen, freilich hast Talent." / "Herr Mozart, ich weiß, dass ich schlecht gespielt habe, aber wenn Sie noch etwas Zeit haben, würde ich gern noch etwas improvisieren." / "Aha, möchts a bisserl phantasieren, einverstanden. I geb dir a Thema. Da auf dem Klavier liegt a Notenblatt, a Stückerl aus meiner neuen Oper 'Don Giovanni'." / Die Augen des jungen Mannes wanderten rasch über das Notenblatt. Er sammelte sich kurz und begann die kleine tänzerische Melodie einstimmig vorzutragen. Mozart schüttelte lächelnd den Kopf. Aber schon hörte er sein Thema wieder, diesmal aber mit herrlichen, kühnen Harmonien versehen. Jetzt wurde Mozart ernst. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte er dem musikalischen Schauspiel. Sein Thema erschien in immer neuen Farben und Formen, verschwand und kam wieder zum Vorschein. "Ein kleiner Teufelskerl, dieser Bub", flüsterte er vor sich hin. / Als der junge Pianist mit wuchtigen Fortissimo-Klängen geendet hatte, saß Mozart ganz versunken in seinem Sessel. Dann beugte er sich zu den Herren hinüber und meinte leise: "..." [6] – siehe oben!

Aus der Feder eines späteren Deuters dieser vielleicht nur legendären Begebenheit ist der Gedanke geflossen, dass Mozart 1787 musikalisch womöglich mehr von Beethoven profitierte als dieser von jenem. Es war Richard Wagner, der so dachte und es in seinem Aufsatz anlässlich des Beethovenjahrs 1870 mit diesen Worten ausgedrückt hat:

Von seiner Begegnung als Jüngling mit Mozart wird uns erzählt, er sei unmutig vom Klavier aufgesprungen, nachdem er dem Meister zu seiner Empfehlung eine Sonate vorgespielt hatte, wogegen er nun, um sich besser zu erkennen zu geben, frei phantasieren zu dürfen verlangte, was er denn auch, wie wir vernehmen, mit so bedeutendem Eindruck auf Mozart ausführte, dass dieser seinen Freunden sagte: "Von dem wird die Welt etwas zu hören bekommen". Dies wäre eine Äußerung Mozarts zu einer Zeit gewesen, wo dieser selbst mit deutlichem Selbstgefühle einer Entfaltung seines inneren Genius zureiste, welche bis dahin aus eigenstem Triebe sich zu vollziehen durch die unerhörten Abwendungen im Zwange einer jammervoll mühseligen Musikerlaufbahn aufgehalten war. Wir wissen, wie er seinem allzufrüh nahenden Tode mit dem bitteren Bewusstsein entgegensah, dass er nun erst dazu gelangt sein würde, der Welt zu zeigen, was er eigentlich in der Musik vermöge. [7]

Dem eigenen Tod ganz nah war Mozart in den ersten Monaten des Jahres 1787 noch nicht, wohl aber sein Vater Leopold (67), der am 28. Mai in Salzburg starb. Ihn betrauerte er ebenso tief wie zwei beste junge Freunde etwa zur selben Zeit. Beethoven musste sich nach seiner Abfahrt aus Wien – ein Abschied für mehr als fünf Jahre – beeilen, um in Bonn seine 40-jährige Mutter Maria Magdalena noch vor ihrem Sterbetag, dem 17. Juli, anzutreffen. Sein einziges verbliebenes Schwesterchen Maria Margarete Josepha folgte ihr, 18 Monate jung, noch vor Jahresfrist. Der Rest kann – fast nur – Schweigen, Stille oder große Musik sein: Sound of Silence.

QUELLEN

[1] Dieter Haberl: Beethovens erste Reise nach Wien. Die Datierung seiner Schülerreise zu W. A. Mozart, Neues Musikwissenschaftliches Jahrbuch, 2006, 215-255

[2] Margret Steenfatt: Auch ich bin ein König. Ludwig van Beethovens Kindheit in Bonn, Boje 1988, S. 191-192

[3] Fritz Zobeley: Ludwig van Beethoven in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlt 1965, S. 23

[4] Veronika Baum: Beethoven will Mozart treffen, BR Kinder 12.12.2015


[5] Jan Caeyers: Beethoven. Der einsame Revolutionär. Eine Biographie, C. H. Beck 2013, S. 86

[6] Ulrich Rühle: "...ganz verrückt nach Musik". Die Jugend großer Komponsten, dtv junior 1995, S. 116-118

[7] Richard Wagner: Beethoven. Mit dem nicht veröffentlichten Schluss von 1871, Sammlung Hofenberg 2015, S. 22-23


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