Philosophische Initiativen ergreifen

Philosophische Initiativen sind Anläufe zum Ursprung. Wo solche Anläufe beispielgebend genommen werden, ergreifen sie den philosophischen Anfänger. Ein solcher Anfänger hat philosophisch bloß Interessierten ein anderes Fragen als das bloß neugierige voraus. Neugier endet immerzu, ob sie befriedigt wird oder nicht. Das andere Fragen kommt aus dem Staunen nicht heraus. Einmal ins philosophische Staunen versetzt, ergreifen nur noch Anläufe zum Ursprung, so vergeblich sie auch genommen werden. Sie offenbaren eine Vergeblichkeit, die den Menschen auszeichnet und die er gewöhnlich nicht wahrhaben, nicht hinnehmen, nicht erleben will. Dabei ist sie ihm ursprünglich. Doch dieses Ursprüngliche ist für ihn gewöhnlich zum Davonlaufen, zum Laufen in Laufbahnen, auf denen man weiterkommt, vermeintlich weiter weg von einem Ursprünglichen, das die Weglaufenden indessen jederzeit einholt, wie das dem Ursprünglichen eigentümlich ist. Der philosophische Anfänger geht den umgekehrten Weg, wohl meist zunächst in Begleitung von Vorgängern, deren Beispiele ihn ergreifen, mit Meistern von vergeblichen und dennoch notwendigsten Anläufen zum Ursprung. Ihn ergreifen (initiieren!) und er ergreift (initiiert!) philosophische Initiativen.

Philosophische Initiativen sind keine sozialen Bewegungen, jedenfalls keine im geläufigen Sinn. Jeder Anlauf zum Ursprung ist ein einsamer. Nicht auszudenken ist freilich die Weltveränderung, die eintritt, wenn in der Einsamkeit ein solcher Anlauf vielfach genommen wird – wenn daraufhin eine womöglich erstmals ursprüngliche Mensch-heit auflebt und sich einander zuwendet.

Wem sollte und kann eine philosophische Initiative von Beginn an begeisterter zugewandt sein als den inspirierendsten Philosophen, die einige wenige bürgerlich Lebende den Atem anhalten lassen! Daraufhin ist doch vor allem Intensivierung des "Kontakts" mit den Inspirationsquellen angesagt, jenes "kommunikative Handeln" nämlich, das im eindringlichen Lesen und Auslegen des Gelesenen besteht. Nahe liegt es dabei, Lesepartnerschaften einzurichten, in denen die eigene Lesart um eine oder mehrere zusätzliche Interpretationsansätze ergänzt werden kann. Nahe liegt dann indessen auch, dass tief Gedachtes in oberflächliches Gerede kommt. Im Grunde ist es alternativlos, allein auf den vorliegenden Text zu achten und jede Verlegenheit, in die er den einsam Lesenden bringt, auszuhalten statt in gesprächiger Atmosphäre aufzulösen. Der innige und ausdauernde Dialog mit einem maßgebenden Text kann ohne jegliche gesellige Ablenkung die Probe aufs Exempel sein für ein tiefer-als-gewöhnliches Miteinander überhaupt. Nur dergestalt kann für mich von einer Initiative gesprochen werden, die als philosophische ausgezeichnet ist. Andere wissenschaftliche oder weltanschauliche oder politische oder geschäftliche oder kulturelle oder sonstige Initiativen sind eben Initiativen anderer Art.

Tiefgang – gerade auch philosophische InitiaTIEFE – kann umsichtigen Umgang vertiefen, der nie ausbleiben sollte. Ein Beispiel ist der junge Marx, der sich in Hegel vertiefte und dadurch zu einer politischen Weltsicht und einem sozialrevolutionären Engagement gelangte. Eineinhalb Jahrtausende zuvor war es die Begegnung mit platonischer Philosophie, die Augustinus das Christentum als "die wahre Religion" auffassen und eine kirchenväterliche Laufbahn einschlagen ließ. Es mag auch auf weniger Eifer als in diesen beiden Fällen hinauslaufen, in denen der Tiefgang eher kurz und heftig als lang und sachte (lang-sam) gewesen sein mochte.

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