Irren ist schöpferisch

Seit Menschen nach Erkenntnis streben, gehen sie fehl in der Annahme zuhauf, unterliegen sie Irrtümern noch und noch. Immerhin bleibt es nicht aus, dass sie ihre Irrtümer – manchmal früher, manchmal später – bemerken, und ihnen auffällt, dass vorher für verrückt erklärte Ideen gar nicht so abwegig sind wie geglaubt. Ganz ähnlich, um nicht zu sagen: für dieses menschliche Versuch-und-Irrtum-Verfahren mustergültig, schreibt die ganze Natur ihre Geschichte. Bereits deren Anfängen, seien es die kosmischen, seien es die lebensweltlichen, wohnt massenhaft falscher Zauber inne, der jedoch nie einen langen Atem hat, weil dem wenigen Passgenaueren, das er zufällig und sozusagen stiefmütterlich mit sich bringt, am jeweiligen Ende zum Durchbruch verholfen wird – bis dieses zeitweise wie angegossen Feststehende selber unter veränderten Umständen etwas zuvor Unterdrücktem den Weg frei räumen muss. So geht Evolution, so geht wissenschaftliche Revolution, so geht überhaupt Kreativität: "Wir irren uns empor." (Odo Marquard 1983 im Berliner Vortrag "Entlastungen")