Macht macht nichts

Macht kommt nicht von machen, sondern von mögen. Wie das? Was mögen denn Mächtige? Als Mächtige haben sie ein Vermögen. Ebenso haben Vermögende als Vermögende Macht. Mit kleinem Vermögen weniger, mit größerem mehr Macht. Gewiss können Mächtigere mehr machen als weniger Mächtige. Aber machen können ist noch nicht machen. Etwas zu können heißt etwas zu vermögen. Als Vermögen ist Macht ein Können; man kann auch sagen: eine Möglichkeit. Mächtige oder Vermögende sind demnach Könner, nicht oder jedenfalls nicht unbedingt Macher. Obwohl sie jederzeit die Möglichkeit haben, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, besteht zugleich die Möglichkeit, dass sie nie dazu kommen.

Die Erbin eines Goldschatzes könnte dieses Vermögen lebenslang im Tresor liegen haben, der Wert des Goldes könnte sich in dieser Zeit sogar vervielfachen, doch wenn sie es nicht verwertet, bleibt es so etwas wie potentielle Energie (auch "Lageenergie" genannt). Das Gold dient immerhin als Rücklage für alle Fälle. Doch wenn kein solcher Fall eintritt, ist es, als wäre die reiche Erbin eine Habenicht(s)e. Damit kein solcher Fall eintritt, dürfte sie indessen in keiner Lebenslage etwas tun, was sie nicht täte, wenn sie nicht so vermögend, nicht so potent wäre, nicht so viele Möglichkeiten und so viel Macht hätte, ein dem gemäßes Risiko in Kauf zu nehmen. Zugegeben: das Beispiel eines so weitgehend tatenlosen wohlhabenden Menschen ist ziemlich aus der Luft gegriffen. Macht in Form von materiellem Reichtum bzw. wirtschaftlichem Vermögen ist nun einmal zum Einsatz da, zumal unter Lebensumständen, die einen solchen Einsatz immer wieder notwendig erscheinen lassen.

Ähnlich verhält es sich etwa bei einem Kampfsportler, der sich eine erhöhte Fähigkeit zur Selbstverteidigung aneignet. Durch tägliches Training mag ein solcher seine Fitness aufrechterhalten, doch außer in sportlichen Wettbewerben oder Schaukämpfen muss er vielleicht nie im Leben dieses Vermögen, einen körperlichen Angriff abzuwehren, zum Einsatz bringen. Es soll indessen Kampfkünste geben, deren Meister im alltäglichen Leben unangreifbar erscheinen, ohne dass sie diesen Eindruck durch ein irgendwie kraftprotziges Zutun erwecken. Ihre Macht macht nichts und wirkt sich dennoch mächtig aus. Abgesehen von solchen Ausnahmeerscheinungen, gehört viel Mut dazu, "wehrlos fort durchs Leben [zu wandeln]", ohne sich zu "sorgen" (Friedrich Hölderlin). In aller Regel will Macht in Machtkämpfen bewiesen und das "wehe, wenn sie los gelassen" (Friedrich Schiller) zu spüren gegeben werden.