Menschwerdung ohne Lebensbund

Dass mir voraussichtlich kein Bund fürs Leben je "vergönnt" ist, weder ein Ehebund noch ein sonstiger separater Zusammenschluss mit einer begrenzten Anzahl anderer, will mir, alles in allem, mittlerweile durchaus nicht ungünstig vorkommen. Ich bin ein Mensch unter Menschen, die ziemlich dicht die Oberfläche des Erdballs bevölkern. Die heute Fernsten können mir gelegentlich die Nächsten sein.

Das Menschenmögliche sind nicht nur die zufälligen Kontakte mit Artgenoss/inn/en aller Weltgegenden, sondern darüber hinaus eine solche Pflege derartiger Bekanntschaften, dass sich die Perspektive eröffnet, sich überall im menschlichsten Sinne des Wortes als Mensch unter Menschen zu fühlen. Wenn einmal so universell das "Lernziel Solidarität" (Horst-Eberhard Richter) erreicht sein wird, kann zuguterletzt die lebensbündlerische Absonderung, sei sie eidgenossenschaftlich, blutsverwandtschaftlich oder wie auch immer, kein dringendes Bedürfnis mehr sein.

Ich möchte jetzt nicht dahin missverstanden werden, dass bald zehn Milliarden Personen auf dem Planeten alle zusammen so "ganzheitlich" miteinander verkehren könnten wie zwei Ehepartner oder, vereinigt "im Geiste", eine überschaubare Schar von Klosterschwestern. Doch schließe ich nicht aus, dass ein volles Sicheinlassen auf das menschheitlich große Ganze – frei von jedem Wir-und-die-anderen-Dualismus – das monastische ebenso wie das familiäre "Hochgefühl" einmal als Obsessionen erscheinen lassen kann, die sich im Strom einer erweiterten Mensch-Werdung totgelaufen haben werden. Auf Identitäten nationaler und großreligiöser Art sollte das schon zeitiger zutreffen.